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20. FEBRUAR 2024

Lohnfortzahlung bei Krankheit in der Schweiz

Nicht nur seit dem Ausnahmezustand mit Covid-19 gibt vor allem die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Anlass zu Diskussionen. Fragen tauchen sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite auf. Muss der Lohn gezahlt werden, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeiten kann? Wie viel Geld erhält der Arbeitnehmer, wenn er krankheitsbedingt der Arbeit fernbleibt? Verhält sich dies immer gleich oder variiert die Dauer und Höhe der Lohnfortzahlung bei Krankheit?
In diesem Beitrag gehen wir auf die wichtigsten Fragen der Schweizer Arbeitgebenden ein.

In diesem Beitrag

Lohnfortzahlung bei Krankheit

ℹ️ Die Lohnfortzahlung bei Krankheit regelt das Gesetz in Art. 324a Obligationenrecht (nachfolgend: OR) folgendermassen: Kann ein Arbeitnehmer unverschuldet nicht arbeiten (z.B. Krankheit, Unfall, öffentliche Pflichten), muss ihm der Arbeitgeber für eine begrenzte Zeit den Lohn zahlen. Die Dauer der Lohnfortzahlung hängt von der Länge des Arbeitsverhältnisses ab.

Anspruch besteht, wenn das unbefristete Arbeitsverhältnis bereits mindestens drei Monate gedauert hat oder wenn ein befristetes Arbeitsverhältnis für mehr als drei Monate eingegangen wurde.

Auch wenn die Schwangerschaft der Grund für die Abwesenheit ist, muss der Arbeitgeber den Lohn zahlen. Es können jedoch abweichende vertragliche Regelungen getroffen werden, wenn sie für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertig oder besser sind. Die gesetzliche Lohnfortzahlung darf nicht vertraglich zuungunsten des Arbeitnehmers geändert oder gestrichen werden (Art. 362 Abs. 1 OR).

Wichtig: Der Lohnfortzahlungsanspruch gilt auch für Teilzeitangestellte sowie für Angestellte im Stundenlohn.

Lohnfortzahlung bedeutet, dass der Arbeitgeber für eine bestimmte Zeit den Lohn trotz unverschuldetem Arbeitsausfall weiterzahlt.

Abb.: Egal, ob Krankheit, Unfall oder anderes: Es kann jeden treffen. Hier schützt den Arbeitnehmenden die Lohnfortzahlung.
Abb.: Egal, ob Krankheit, Unfall oder anderes: Es kann jeden treffen. Hier schützt den Arbeitnehmenden die Lohnfortzahlung.

Ausnahme der Lohnfortzahlung gemäss OR

Laut Gesetz kann sich der Arbeitgeber durch Abschluss einer Krankentaggeldversicherung von der Lohnfortzahlung befreien, wenn die Versicherungsleistung mindestens 80% des Lohnes decken. Wenn die Versicherungsleistungen geringer sind, muss der Arbeitgeber die Differenz zwischen der Versicherungsleistung und den geschuldeten 80% des Lohns bezahlen (Art. 324b Abs. 2 OR).

Beispiel: Frau Müller arbeitet 100% und hat einen Lohn von CHF 5’000 monatlich. Sie wird für eine längere Zeit krank und der Arbeitgeber hat für seine Mitarbeitenden eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen. Die Krankentaggeldversicherung bezahlt CHF 3’000 monatlich, also 60% des arbeitsvertraglich vereinbarten Lohnes. Die Leistung der Versicherung ist gemäss Gesetz nicht ausreichend und der Arbeitgeber muss die Taggeldleistung der Versicherung mit mindestens CHF 1’000 selber ergänzen, so dass Frau Müller mindestens 80% des versicherten Verdienstes, also CHF 4’000 monatlich erhält.

Der Abschluss einer Krankentaggeldversicherung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, wird aber oft im Arbeitsvertrag so vorgesehen. Die meisten Krankentaggeldversicherungen sehen einen Anspruch von 80% (selten auch 100%) des Lohns während 720 oder 730 Tagen vor. Damit der konkrete Anspruch der Höhe und Dauer der Krankentaggelder abgeschätzt werden kann, lohnt es sich jeweils, die allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die Versicherungspolice zu konsultieren. Weiterführende Informationen finden Sie hier.

Hinweis
: Von den Krankentaggeldern werden keine Abzüge für AHV/IV/EO-Prämien gemacht.

Zahlt die Krankentaggeldversicherung erst ab einer bestimmten Wartefrist (sog. Karenzfrist), muss der Arbeitgeber weiterhin Lohn zahlen und zwar im Umfang der nach Art. 324a OR geschuldeten Lohnfortzahlung (100%) inkl. der sozialversicherungsrechtlichen Abzüge. Dies darf allerdings arbeitsvertraglich (schriftlich) abgeändert werden, so dass der Lohn auch in der Wartefrist bereits auf 80% beschränkt wird.

Quelle Protekta: Ablaufschema bei Krankheit des Arbeitnehmenden.
Quelle Protekta: Ablaufschema bei Krankheit des Arbeitnehmenden.

Wie lange Anspruch auf eine Lohnfortzahlung bei Krankheit?

Das Gesetz (Art. 324a OR) äussert sich nur sehr allgemein zur Dauer der Lohnfortzahlung. Es ist geregelt, dass der «Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten» hat. Im Interesse der Rechtssicherheit entwickelten die Gerichte der Kantone Basel-Stadt, Bern und Zürich folgende Skalen für die Dauer der Lohnfortzahlung: Basler, Berner und Zürcher Skala (gemäss Basler Kommentar, OR I, Portmann/Rudolph, 7. Auflage 2020, Art.324a N13).

Dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO lässt sich folgende aktuelle Tabelle entnehmen. Die vorliegende Tabelle zeigt das 1.-11. Dienstjahr und bei Bedarf können weitere Angaben auf folgendem Link entnommen werden.

Skalen

Basler

(BS, BL)

Berner

(BE, AG, OW, SG, West-CH)

Zürcher

(ZH, GR)

1. Dienstjahr

3 Wochen

3 Wochen

3 Wochen

2. Dienstjahr

2 Monate

1 Monat

8 Wochen

3. Dienstjahr

2 Monate

2 Monate

9 Wochen

4. Dienstjahr

3 Monate

2 Monate

10 Wochen

5. Dienstjahr

3 Monate

3 Monate

11 Wochen

6. Dienstjahr

3 Monate

3 Monate

12 Wochen

7. Dienstjahr

3 Monate

3 Monate

13 Wochen

8. Dienstjahr

3 Monate

3 Monate

14 Wochen

9. Dienstjahr

3 Monate

3 Monate

15 Wochen

10. Dienstjahr

3 Monate

4 Monate

16 Wochen

11. Dienstjahr

4 Monate

4 Monate

17 Wochen


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Was gilt für den Fall teilweiser Arbeitsunfähigkeit?

Am einfachsten kann dies anhand eines Beispiels erklärt werden:

Beispiel: Frau Müller arbeitet 100% bei der Schönwetter AG. Sie ist im ersten Dienstjahr und seit zwei Wochen zu 50% krankgeschrieben. Die Probezeit von drei Monaten ist vorbei.

Was sieht das Gesetz, die Lehrmeinung oder das Gericht vor?

Das Bundesgericht hat bisher nicht entschieden, ob sich bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit die Lohnfortzahlungsdauer entsprechend dem Grad der Teilarbeitsunfähigkeit verlängert. Die kantonalen Gerichte sind sich diesbezüglich nicht einig. In der Praxis hat sich jedoch die Lehrmeinung durchgesetzt, dass sich die Zahlungsdauer bei Teilarbeitsfähigkeit proportional verlängert (gemäss Lehrmeinung: Streiff / von Kaenel / Rudolph, Arbeitsvertrag Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Auflage, Zürich 2020, Art. 324a/b N 25).

Verschiedene Arten von Absenzen innerhalb eines Dienstjahres im Sinn von Art. 324a Abs. 1 OR (somit auch verschiedene Krankheiten) werden zusammengezählt. Die im Art. 324a Abs. 1 OR genannte «beschränkte Zeit» bezieht sich auf ein Dienstjahr, nicht auf einen Krankheitsfall (gemäss Lehrmeinung: AJP/PJA 3/2003 S. 323 ff., 5.2.26).

Lösung gemäss Lehrmeinung: Frau Müller hätte im ersten Dienstjahr (nach allen Skalen) Anspruch auf drei Wochen Lohnfortzahlung. Da Frau Müller nur zu 50% arbeitsunfähig ist, nutzt sie den Lohnfortzahlungsanspruch auch nur zur Hälfte aus. Der Anspruch verlängert sich daher proportional um die nicht ausgeschöpften 50%, womit Frau Müller für insgesamt sechs Wochen lang Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber erhalten würde (sollte sie nicht vorher wieder vollständig arbeitsfähig werden).

Was, wenn der Arbeitnehmer während des Übertritts vom einen zum anderen Dienstjahr arbeitsunfähig ist?

Auch hier ist ein kleines Beispiel hilfreich für das Verständnis:

Beispiel: Frau Müller ist nun tatsächlich länger als 6 Wochen krank. Einen Monat nach Ende des Lohnfortzahlungsanspruch fängt das zweite Dienstjahr an für sie. Sie ist nun zudem zu 100% krankheitsbedingt arbeitsunfähig.

Lösung: Wenn ein neues Dienstjahr (bzw. ohne andere Anhaltspunkte, das Kalenderjahr) beginnt, wird der Anspruch mit jedem Dienstjahr von neuem berechnet. Es kann daher sein, dass ein Arbeitnehmer über das Ende des Dienstjahres hinweg zuerst Lohnfortzahlung erhält, bis der Anspruch jenes Jahres erschöpft ist, dann keinen mehr erhält, bis das Dienstjahr fertig ist und vom neuen Dienstjahr an den wieder vollen Lohn bezieht. Vom Grundsatz kann gemäss Praxis der Gerichte allerdings abgewichen werden, wenn im Vorjahr schon beträchtliche Leistungen des Arbeitgebers erbracht wurden (wie beispielsweise folgender Fall: Das Zürcher Obergericht befand in einem Krankheitsfall, der sich vom 15. in das 16. Dienstjahr zog, statt der nach Zürcher Skala möglichen 43 Wochen 33 Wochen als genügend).

Welche Voraussetzungen müssen für eine Lohnfortzahlung erfüllt sein?

Vorliegen einer vollständigen oder teilweisen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit

Gemäss Gesetz (Art. 324a Abs. 1 OR) muss für einen Anspruch auf Lohnfortzahlung ein Grund vorliegen, der den Arbeitnehmer ohne sein Verschulden daran hindert, die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen. Das Gesetz nennt das Vorliegen einer Krankheit explizit als Anspruchsgrundlage.

Eine Krankheit ist gemäss Art. 3 Abs. 1 ATSG jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

Beweis des Vorliegens einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit

Den Beweis für das Vorliegen der Krankheit und der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit muss grundsätzlich der betroffene Arbeitnehmer erbringen. Üblicherweise wird die (vollständige oder teilweise) Arbeitsunfähigkeit durch ein Arztzeugnis belegt. Es ist aber auch möglich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einem Vertrauensarzt schickt. Dies kommt etwa in Fällen vor, in denen der Arbeitgeber an der Richtigkeit des eingereichten Arztzeugnisses zweifelt. Achtung: Der Arbeitgeber hat die Kosten hierfür selbst zu tragen.

Exkurs Arztzeugnis: Allein die Attestierung einer Krankheit reicht noch nicht zwingend aus für den Anspruch auf Lohnfortzahlung. Vielmehr muss der Wortlaut des Arztzeugnisses klar darauf schliessen lassen, dass durch die Krankheit auch eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Der Arbeitgeber darf bereits ab dem ersten Krankheitstag ein Arztzeugnis verlangen, auch wenn der Arbeitsvertrag das nicht ausdrücklich vorsieht, es jedoch auch nicht ausschliesst (gemäss Lehrmeinung: Streiff/von Kaenel/Rudolph vgl. hiervor N 12 m.w.H.).

Häufig werden Arztzeugnisse erst einige Zeit nach dem Krankheitsbeginn beim Arbeitgeber eingereicht und zurückdatiert. Ein rückwirkend ausgestelltes Arbeitsunfähigkeitszeugnis kann nicht von vornherein als ungültig erklärt werden. Die Ärztegesellschaft Zürich empfiehlt beispielsweise, die Rückwirkungsdauer des Arztzeugnisses nicht mehr als eine Woche zu überschreiten. Solche rückwirkenden Zeugnisse sollten aber nur in Ausnahmefällen ausgestellt werden und sich nicht allein auf die Schilderungen der Patienten beziehen. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich auch in einem solchen Fall, den Arbeitnehmer wie bereits erwähnt, auf Kosten des Arbeitgebers zu einem Vertrauensarzt zu schicken. Der Vertrauensarzt darf dabei nur über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer (teilweisen) Arbeitsunfähigkeit Auskunft geben, allerdings keine näheren Angaben zur Diagnose machen.

Fehlendes Verschulden des Arbeitnehmers

Jede Arbeitsverhinderung im Sinn des Gesetzes (Art. 324a OR) muss unverschuldet sein. Ein leichtes Verschulden schadet dem Arbeitnehmer allerdings nicht, sondern nur ein offensichtliches Fehlverhalten (z. B. Selbst Zufügen von Verletzungen bei voller Urteils- und Handlungsunfähigkeit mit der Absicht, Lohnfortzahlung zu erhalten). Handelt der Arbeitnehmer mit Vorsatz, besteht kein Lohnfortzahlungsanspruch. Bei Grobfahrlässigkeit kann es zu Kürzungen des Anspruchs kommen (gemäss Lehrmeinung: BSK-OR Portmann/Rudolph siehe hiervor N 4 ff.).

Es ist stark umstritten, ob eine Arbeitsunfähigkeit aus einer Substanz- oder Alkoholabhängigkeit als unverschuldet betrachtet wird. Die Frage muss stets im Einzelfall beantwortet werden. Wenn man sich bewusst einem hohen Suchtrisiko aussetzt, nimmt man eine Abhängigkeit zumindest in Kauf. Gleitet man hingegen in einer Art Spirale immer weiter in die Sucht, wird ein Verschulden eher verneint (gemäss Lehrmeinung: BSK-OR Portmann/Rudolph siehe hiervor N 23).

Darf der Arbeitgeber bei Krankschreibung kündigen?

Der Kündigungsschutz nach Gesetz im Allgemeinen

Das Gesetz sieht in OR Art. 336c Abs. 1 lit. c vor, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit, während einer teilweisen oder vollständigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab dem zweiten bis mit dem fünften Dienstjahr während 90 Tagen und ab dem sechsten Dienstjahr während 180 Tagen nicht auflösen darf.

Wie dem Gesetzeswortlaut entnommen werden kann, greift diese Regelung erst nach Ablauf der Probezeit. Erkrankt der Arbeitnehmer also in der Probezeit, spricht nichts gegen eine Kündigung von Seiten des Arbeitgebers.

Wichtig: Der Arbeitnehmer kann immer selbst kündigen und eine Aufhebungsvereinbarung im gegenseitigen Einverständnis kann ebenfalls jederzeit getroffen werden. Wurde der Arbeitnehmer allerdings zur selbständigen Kündigung oder zur Annahme einer Aufhebungsvereinbarung gedrängt, kann der Kündigungsschutz gemäss Gesetz trotzdem zur Anwendung kommen (gemäss Lehrmeinung: BSK-OR Portmann/Rudolph Art. 336c N 2). Eine solche Drucksituation kann beispielsweise entstehen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ernstliche Nachteile (bspw. ein schlechtes Arbeitszeugnis) androht, sollte dieser nicht von sich aus kündigen.

Eine innerhalb der Kündigungssperrfrist ausgesprochene Kündigung entfaltet gemäss Gesetz keine Wirkung. Die Kündigung ist somit nichtig, d.h. das Arbeitsverhältnis besteht weiterhin, als ob die Kündigung nie ausgesprochen wurde und muss im nächstmöglichen Zeitpunkt nachgeholt werden, sollte weiterhin daran festgehalten werden. Dies wird meist der Zeitpunkt sein, in dem der Arbeitnehmer wieder vollständig arbeitsfähig ist. Oder aber, wenn die Kündigungssperrfrist abgelaufen ist und die Arbeitsunfähigkeit weiterhin andauert (so auch die Lehrmeinung in: BSK-OR Portmann/Rudolph Art. 336c N 10).

Aufgrund der Formulierung im Gesetz, wonach nicht gekündigt werden darf, wenn der Arbeitnehmer «ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist», gelten die im Gesetz genannten Sperrfristen bei teilweiser und vollständiger Arbeitsunfähigkeit gleichermassen. Bei der Lohnfortzahlung verlängert sich die Dauer der Lohnfortzahlung proportional zum Grad der Arbeitsunfähigkeit (siehe oben). Für die Sperrfrist nach Art. 336c OR gilt dies nicht. Diese bleibt gleich lang, egal ob eine teilweise oder vollständige Arbeitsunfähigkeit vorliegt.

Abb.: Krank arbeiten hilft weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmenden und verlängert nur die Genesungszeit.
Abb.: Krank arbeiten hilft weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmenden und verlängert nur die Genesungszeit.

Was geschieht, wenn der Arbeitnehmer am Tag, der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung zum Arzt geht und sich ab dem gleichen Tag krankschreiben lässt?

Das Bundesgericht äusserte sich bereits in einem solchen Fall (im Entscheid BGer 4A_89/2011 vom 27. April 2011). Im konkreten Fall hatte sich der Arbeitnehmer geweigert, die Kündigung entgegenzunehmen (die Kündigung gilt dann trotzdem als empfangen) und hatte unmittelbar danach einen Arzt aufgesucht, der eine Arbeitsunfähigkeit inklusive des Tages der Kündigung bescheinigte. Zusammenfassend kam das Bundesgericht zum Schluss, dass der Arbeitnehmer bis zu seiner Entlassung am frühen Nachmittag seine Arbeit normal verrichtete und keine Anzeichen einer Krankheit zeigte, erst danach über Unwohlsein klagte und sich selbstständig zum Arzt begab. Unter diesen Umständen, entgegen der vom Arbeitnehmer vorgebrachten Argumentation, obwohl der konsultierte Arzt seine Arbeitsunfähigkeit bereits am besagten Tag bescheinigte, erfolgte die Kündigung nicht in der Kündigungssperrfrist gemäss der oben genannten Bestimmung (weitergehende Informationen hierzu unter diesem Link.

Wie so oft wird diese Frage allerdings im Einzelfall geprüft werden müssen.

Achtung: Die Kündigungsfrist kann sich wegen der gesetzlichen Bestimmung (in Art. 336c Abs.1 lit. b OR) während einer krankheitsbedingten Abwesenheit dennoch verlängern, auch wenn die Kündigung rechtzeitig beim Arbeitnehmer eingegangen ist.

Was gilt, wenn der Arbeitnehmer mehrfach erkrankt und in der Folge jeweils arbeitsunfähig wird?

Wenn ein Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist mehrmals krank wird, hängt es davon ab, ob die Krankheit aus demselben Grund erfolgt ist. Wenn die Krankheiten unterschiedliche Gründe haben, werden die Sperrfristen addiert. Wenn die zweite Krankheit in die verlängerte Frist fällt, gilt dies jedoch nicht. Ein Rückfall oder eine Folgeerscheinung lösen keine neue Sperrfrist aus. Allerdings kann der Rest der noch nicht aufgebrauchten Sperrfrist in Anspruch genommen werden. Wenn eine Krankheit über ein Dienstjahr hinaus dauert, wird im neuen Dienstjahr kein neuer Sperrfristenlauf ausgelöst. Es kann aber eine längere Sperrfrist gelten (weitere Ausführungen hierzu unter folgendem Link).

Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Unfall?

Ein Unfall ist gemäss Gesetz (Art. 4 ATSG) eine plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.

Grundsätzlich sind alle in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer obligatorisch gegen Berufsunfälle und Berufskrankheiten versichert (Art. 6 Abs. 1 UVG). Eine obligatorische Unfallversicherung für Nichtberufsunfälle besteht nur, wenn der Arbeitnehmer mindestens acht Stunden pro Woche arbeitet (gemäss Kreisschreiben des BAG über die Obligatorische Unfallversicherung UVG, Stand am 1. Januar 2022, S. 4). Das Taggeld beträgt bei voller Arbeitsunfähigkeit 80% des versicherten Lohns. Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit wird es entsprechend gekürzt (Art. 17 Abs. 1 UVG).

Das Gesetz (Art. 16 Abs 2 UVG) lässt den Anspruch auf Taggelder der Unfallversicherung ab dem dritten Tag nach dem Unfalltag entstehen. Somit stellt sich die Frage, ob in den zwei davor liegenden Tagen Lohnfortzahlung besteht. Art. 324b Abs. 3 OR hält fest, dass der Arbeitgeber für die Wartefrist bis zum Beginn der Versicherungsleistungen mindestens 80% des Lohns zu entrichten hat. Somit wäre für die ersten zwei Tage nach dem Unfallereignis 80% des Lohns durch den Arbeitgeber zu entrichten. Es handelt sich dabei allerdings um die gesetzliche Vorschrift nach Art. 324b Abs. 3 OR und nicht um einen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Sinne von Art. 324a OR.

Wichtig: Die Bestimmungen zum Kündigungsschutz bei Krankheit gelten auch bei unfallbedingten Absenzen am Arbeitsplatz.

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